Switch Head!! Switch On!!! Teil 7

Eine Cyberpunk-Noir-Geschichte


Es hatte nicht zu meinen Plänen gehört, heute Nacht – vielleicht war es auch schon Frühmorgens – durch den Dreck der Menschheit zu waten und mit meinen Stiefeln auf schmutziges Glas, falsch entsorgte Elektronik und Geräte für sogenannte Erwachsene zu treten, aber es war so wie es war: Der Mensch hatte seine Vorstellungen, doch ein Anderer führte unsere Schritte. Es musste so sein, denn wieso sonst gäbe es das Unerwartete und das Aufregende?

»Es stinkt«, sagte Lucy und hielt sich den Schal ihrer Uniform vor Nase und Mund.

Wir ließen die beiden Damen zwischen uns gehen, ich nun hinten hinkend und Decker vorne schreitend.

»Sie haben ein feines Näschen, Missy. Man erkennt ihre Qualifikation für den Job.«

»Gefällt Ihnen Ihre Arbeit hier?«, fragte ich. Mir war es egal, wenn Decker mich zur Sau machte, aber mein hemmungslos naiver Schutzinstinkt trieb mich dazu, Lucy vor seiner Bissigkeit schützen zu wollen.

»Geld stinkt immer, egal woher es kommt«, sagte sie. »Ich hatte die Qualifikationen und jeder muss essen. Gerade die Jobs, die niemand tun will, müssen getan werden. Und das tun nur wir.«

»Ha, Qualifikationen…«, schnaubte Decker. »Nicht´s für ungut, Missy, ich weiß nicht, welchen Scheiß Sie sich einreden von Familie und Gerechtigkeit, aber ihr Chef hatte eindeutig wohl nur zwei Qualifikationen im Sinn, als er sie auf der Straße gesehen hatte. Sie sind Frischfleisch. Und dann werden die Reste weggeworfen, nachdem man das meiste von ihnen genommen hat. Wie all das hier.« Decker machte eine unbestimmte Zeigebewegung durch den weiten Raum.

»Sie sprechen, nehme ich an, aus eigener Erfahrung.«

Der Kollege schwieg. Auch ich sagte nichts mehr. Ich richtete nun all meine Konzentration darauf, nicht zurückzufallen und mit den anderen mitzuhalten. Sie schritten voran durch die Berge aus stinkendem Unrat hindurch und ich schleppte mich hinterher. Der Schmerz lauerte und peitschte ungeduldig mit dem Schwanz unter der hauchdünnen Unterdrückungsschicht der Inhibitoren. Doch sie gingen weiter. Nur Jerika wartete auf mich – unter zwei Wellblechen, die ein Dach bildend sich zueinander streckten. Ihre nackten weißen Beine schimmerten in dem ganzen aschegrauen Elend wie zwei Leuchttürme. Sie lächelte und ich wusste, dass mich kein sicherer Hafen erwartete. Ich lehnte mich an etwas Links von mir, es war schmierig und schleimig, doch es kümmerte mich nicht. Ich genoss ihr Gesicht.

»Ah, Mister Schick, auf ein Wort! Protest muss ich sprechen!«

»Protest?« Ich achtete kaum auf ihre Worte.

»Ihr Herrchen ist ganz und gar nicht so charmant und galant wie Sie. Ich wünschte, Sie würden ihn zum Schweigen bringen«, seufzte sie, den roten Schmollmund zu einer Schnute verzogen. Ihre blauen Augen glühten feixend. Natürlich meinte sie das nicht ernst, aber ich wunderte mich trotzdem. Im Gegensatz zu Lucy war sie uns die meiste Zeit schweigend gefolgt und ihr schien diese ganze Sache beinahe Spaß zu machen. Doch so seltsam war es wohl auch wieder nicht, sagte ich mir; viele biedere Hausfrauen brannten irgendwann mit Räubern und Mördern durch, der schlimmste Gegner der Frau war die Langeweile und doch sehnten sie sich nach nichts mehr als Stabilität und Ordnung. Ich zumindest fühlte mich nun nicht in der Lage, den sonderbaren und verqueren Wünschen dieser Lebensform zu entsprechen. Ich zuckte wortlos mit den Schultern.

»Ah, braver Doggie, traut sich nicht gegen Herrchen zu bellen. Wuff wuff! Mach wuff wuff! Ah… das machst du nur gegen böse Monster… Ich mach nur Spaß!« Sie zwinkerte mir zu und in diesem Moment hätte ich Sie nur zu gerne genommen. Aber das ging nicht. Arbeit war Arbeit. Und die anderen befanden sich in Sicht- und Hörweite. So wanderten wir vier Verlorene still und schweigend weiter durch die aufragenden Mülltürme. Dichter Nebel und Dunst umhüllte uns und der Gestank war beinahe nicht auszuhalten. Mir war es zumindest möglich, die Sensitivität meiner Geruchssensoren manuell herunterzuschrauben, was die anderen für eine Hölle durchleben mussten, wollte ich gar nicht wissen. Die Hammerkrag war stets in meiner Hand und meine Augen sonderten die vielen schattigen Winkeln und Ecken ab, die sich in fraktale Dimensionen verzerrten. Und indessen kam das Ungetüm immer näher. Hoch ragte er über unseren Köpfen empor. Ein dräuender Riese im Nebel.

»Unter dem Trichter ist es gefährlich. Der Kran läuft automatisch. Wollen Sie das wirklich tun?«, flüsterte Lucy. Unangenehm laut hallte ihre Stimme von den Bergen aus Müll wider.

»Der Feind versteckt sich, wo er Schutz und Fressen hat. Es gibt keinen besseren Ort für ihn. Wir werden ihn schon bald finden.«

Ich hörte ein Rascheln zu meiner Rechten, etwas Metallisches schepperte und fiel zu Boden. Der Lauf meiner Krag fand hingegen nur Dunkelheit und Leere.

»Sie beobachten uns, Caballero«, flüsterte Decker. Seine monotone Stimme verbarg eine Angst, die selbst Fort Red nicht gekannt hatte. Und wer mochte es ihm verdenken? Nicht der Tod wartete auf uns, falls wir scheiterten und selbst das Schicksal der erstickten und lobotomierten Arbeiter im Raum A7 schien gnädig im Anbetracht dessen, welche Pläne der K/464 für uns sicherlich in diesem Moment nun entwarf. Mutanten waren über alle Maßen rachsüchtig. Sie wollten, bestrafen, quälen und Opfer sein. Ich schoss. Der Schemen verschwand im Nebel und Dunst.

»Spar dir deine Munition. Du wirst sie nicht treffen, solange sie nicht angreifen.«

»Ich habe ihn gestreift. Ich hab Blut gesehen.«

»Bleib hier! Geh nicht dort hinein! Das will er nur, dass du glaubst. Wir dürfen uns nicht ablenken lassen. Weiter! Zum Turm!«

Decker pfiff. Wir marschierten weiter. Zwei Männer und zwei Frauen, vier Narren sicherlich, die ins Totenreich hinabstiegen… um was zu suchen? Ich hatte es vergessen. Ich fühlte nur dumpf pochenden Schmerz, ich roch nur noch Gestank von Müll und Unrat und jede meiner Zellen schrie danach, umzukehren und zu fliehen. Aber Decker trieb uns weiter, der alte Schinder. So befanden wir uns schließlich am Fuße des gigantischen Mülltrichters, gerade verschwand eine weitere Ladung vom Kran im gefräßigen Maul. Ich blickte nach oben. Ein einzelner Regentropfen platschte dabei auf meine Nase. Ich schnupperte nasse Asche in der Luft.

»Was jetzt?«

»Ich weiß nicht.«

»Guter Plan.«

»Sie müssen das hier nicht tun«, sagte Lucy.

»Sie auch nicht.«

»Ich muss auf Sie aufpassen.«

»Ich kann auf mich selbst aufpassen, Miss.«

Wie um meine Worte Lügen zu strafen, schoss der Schatten vom Aschehügel herab. Ein lähmender Schmerz bohrte sich in meine Schulter, als die Kralle des Mutanten tief in meinem Fleisch versank und schließlich das Knochenbein darunter brach. Ich ging zu Boden, die Hammerkrag entglitt meinen urplötzlich tauben Fingern. Mein Kopf war ein leerer Kasten indem jemand nur noch Schmerz gesetzt hatte. So gern ich es auch wollte, mein Körper – trotz aller Modifikationen und schöner neuer Technologie – war am Ende und ich wollte schreien, aber nur ein erbärmliches Stöhnen entkam meinen gesprungenen Lippen, als der massige Körper des Mutanten auf mir kniete. Ich hörte Deckers Beatrice knallen. Der Schatten über meinem Gesicht verschwand im gleißenden Licht, die Dunkelheit musste sich dem blendenden Glanz von Feuer und Hitze beugen. Heiße Asche bestäubte meine Stirn, als der Mutant unter jämmerlichem Kreischen verbrannte. Ein weiterer Schuss hallte von den Bergen und Türmen wieder und wurde erwidert vom Schrei des letzten Mutanten. Sein Körper sackte in die Asche und den Schlamm, direkt neben mir, die kleinen Augen starrten mich an, während der Körper in die andere Richtung blickte. Decker hatte auch Delgado erledigt. Aber so war ich es auch. Ich lag am Boden und Blut strömte aus mir. Strömte und strömte, vermischte sich mit dem Wasser aus den dunklen Wolken und trieb treulos hinweg.

»Mr. Caballero!« Ich wurde herumgerollt. Lucys Antlitz beugte sich über meine fiebrigen Augen. Ja, mit diesem Anblick konnte ich sterben. »Mr. Caballero. Bleiben Sie wach. Warten Sie! Sie haben einen Schock. Ihr Herz rast!« Ich wusste nicht, was sie tat, aber mein grenzdebiles Grinsen, schreckte sie aus irgendeinem Grund nicht ab. Sie hantierte und fingerte herum und legte mir schrecklich kaltes Eisen an meine Brust und ich wurde vom Blitz getroffen.

Ich musste mein Bewusstsein verloren haben, denn als ich wieder wach wurde, war das elfengleiche Gesichtchen Lucys verschwunden und stattdessen starrten mich die tiefen Runzelfalten Deckers an. Ich spürte neuen Schmerz und neue Verbände. Ich versuchte mich aufzusitzen.

»Du siehst beschissen aus«, sagte ich.

»Übertreibs nicht, Caballero, ich hab noch Kugeln für dich übrig.«

Typisch Decker, der alte Killer, er konnte sich über alle lustig machen, aber Späße auf seine Kosten verstand er nicht. Ich lachte und spuckte Blut.

»Beruhige dich, Witzbold. Nur die schlechten Komiker lachen über die eigenen Witze.«

»Das musst du gerade wissen«, erwiderte ich.

»Spaß beiseite. Wir sind wieder am Anfang.«

»Die Mutanten sind erledigt.«

»Der K/464 ist immer noch da draußen.«

»Der alte Feind.« Ich grinste und Decker seufzte.

»Ich wünschte, die Kleine wäre es gewesen. Du musst ja schließlich auch ein mal Herzschmerz erleiden, Caballero. Ist gut für die seelische Gesundheit. Hoffnung ist ein zweischneidiges Schwert. Die Schwachen klammern sich dran, doch wird man einmal enttäuscht, fällt man doppelt so tief.«

»Du bist tot, Decker. Ohne Hoffnung.«

»Und du bist unverbesserlich, Caballero, ich möchte dich ja nur zu deinem Besten demoralisieren, bevor es die Kleine oder sonst wer tut.«

»Wie lange habe ich noch?« Ich hustete erneut. Mein Rachen brannte fürchterlich, offenbar verlor das Antigift in meinen Adern allmählich den Kampf gegen die schwärende und brennende Galle, die die Klauen in mein Fleisch gespritzt hatten. Doch ich war noch nicht bereit aufzugeben. Noch nicht. Noch gelüstete mich der Kampf mit den Mächten dieser Welt. Ich wusste selbst nicht warum. Das Herz galoppierte, geschunden von einem rasenden Reiter, aber es zerbrach nicht. Noch nicht.

»Kommt drauf an. Du hast einiges an Rot verloren. Du brauchst Wartung. Und natürlich das Gift… Ich hab den Overclock-Modus angeschaltet. Das heißt, du wirst wieder stehen können. Fürs erste. Wackelig… aber aufrecht.«

»Mister Caballero… Sie leben. Hey, Sie da, scheuchen Sie sich weg. Er braucht Luft und keinen stinkigen Zigarettenqualm!«

»Da muss ich widersprechen, Miss«, lächelte ich. »Ich könnte jetzt definitiv eine Kubanische brauchen.«

»Sie brauchen Ruhe und sonst nichts. Halten Sie den Mund.«

Bevor sich Lucy in den Dreck setzen musste, zog ich mich nach oben, jede Faser in meinem Körper schrie vor Protest, aber der Overclock-Modus sang mir Arien von Zerstörung und mein Grinsen stimmte ein in den Chorus, der den ehrenwerten Untergang besang.

»Du bist wahnsinnig«, sagte Lucy, aber es scherte mich nicht, denn nun war ich wieder größer als sie und Zornesfalten von oben herab gesehen waren außerordentlich hübsch.

»Wahnsinn ist es, den zersplitterten Spiegel als gebrochen wahrzunehmen. Es sind die Gesunden, die sich der heilen Illusion hingeben. Die Pflicht ruft, Miss Keller. Lucy.«

»Sie müssen das nicht tun! Ich sagte es doch. Ich weigere mich. Ich glaube es nicht…. Ihr Kollege redet wüsten Unsinn, wissen Sie!«

»Was hat denn mein Kollege gesagt?« Ich warf einen Blick zu Decker, dieser hielt aber meinen angeschalteten Augen stand. Es überraschte mich nicht. Er war absolut überzeugt von seiner Meinung über mich und ich konnte es ihm nicht verdenken. Wir hatten sieben Mal zusammengearbeitet. Wir beide waren so gut wie verheiratet.

Und doch hatte er mich gekannt, bevor ich ihn gekannt hatte.

»Mr. Decker sagte, Sie seien gefährlich. Sie wären nichts mehr als ein Bluthund an der Leine und je länger man Sie draußen lässt, desto wahrscheinlicher reißt sie. Er hat mir auch gesagt, dass das… was auch immer man mit Ihnen gemacht hat… unweigerlich zu religiösem Wahnsinn führt und man Sie einschläfern müsste… wie einen Hund.«

»Und?«

»Ich glaube nichts davon.«

»Dann tut es mir Leid, Lucy, ich habe Sie angesteckt.«

»Mr. Schick, meine Lucy ist hell aber auch dumm… Sie weiß es besser, aber ihr Herz schlägt anders… hach… wie soll ich sie nur wieder einfangen.« Jerika lehnte seufzend an Deckers Schulter. Ihre weiße Wange rieb an seinem stoppeligen Bartschatten.

»Der kämpfende Soldat ist Gott näher als der Zivilist, denn Leid und Tod heißen die Pforten zu ihm«, murmelte ich und war gekränkt.

»Mr. Schick, solches Gerede verstößt gegen das Gute-Glauben-Gesetz. Sie wollen doch nicht verhaftet werden, das würde Lucymaus sicherlich das Herz brechen.« Jerika hatte ihre Arme um Decker gelegt und schmiegte sich an seine Brust. Offenbar wurde sie müde, aber sie lächelte mir zu mit ihren weißen Spitzen Zähnen. Das war wohl ihre Rache für Lucy. Doch bevor ich etwas erwidern konnte, schrillte ein derber Schrei durch alle unsere Ohren. Geistesgegenwärtig schraubte ich noch die Sensibilität meiner Hörgänge herunter, doch der schallende Ruf zwang mich trotzdem in die Knie. Die Erde bebte. Und mit ungläubigen Augen sah ich, wie der Mülltrichter, der Riese im Nebel, sich unter Staub und Asche erhob und den massiven Kran wie ein Streichholz hinwegknickte. Wie eine Rakete entleibte er sich von Mutter Erdes anziehendem Hunger und gewann rasch an Höhe. Wir alle starrten mit stummen, vor Ehrfurcht geöffneten Mündern empor, als aus dem schwarzen Zylinder ein heller gleißender Stern über unseren Köpfen wurde, ein Licht, das die Sonne selbst zu überblenden schien. Aber der Stern geruhte nicht, nein, er nahm Kurs auf die zwei Türme und blieb zwischen ihnen stehen. Dort schien er, verlockend und einladend, seine gleißenden Arme uns zur Umarmung ausgestreckt.

»Das Meeting hat endlich einen Konferenzraum, wie es scheint«, sagte Decker und nahm die zierliche Jerika in die Arme, beugte sie nach hinten und küsste sie voller Leidenschaft auf den roten Mund.

»Unser letztes Schlachtfeld«, sagte ich.

»Für heute. Dann haben wir endlich Feierabend«, erwiderte mein Freund.

Links:

Beginn der Geschichte: https://styxhouse.club/2024/03/24/switch-head-switch-on-teil-1/

Vorheriges Kapitel: https://styxhouse.club/2024/07/24/switch-head-switch-on-teil-6/

Nächstes Kapitel: https://styxhouse.club/2024/08/02/switch-head-switch-on-teil-8/

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