Switch Head!! Switch On!!! Teil 3

Eine Cyberpunk-Noir-Geschichte

Ihr Haar war das Schwarz von Raben und tief in Erde verborgener Kohle, es umfloss das schimmernde und glänzende Gesicht wie die dunklen Fluten, die die alte Welt verschlungen hatten. Ihre langen Beine trotzten nackt der eisigen Winterkälte, ein Apex-Predator auf der Lauer. Ihre rotlackierten Schuhe mit spitzen Absätzen schienen den Schnee um sie herum zum Schmelzen zu bringen und die dunklen Augen lächelten mir zu, obwohl sie mich – hinter der geschwärzten Scheibe – sicherlich nicht sehen konnten.

Ich hatte mein Ziel erreicht. Im Rücken der Fremden, die sich wie eine Sphinx vor mir erhob, türmten die beiden rostigen Nadeln des Old-Light-Komplexes empor – deren zweckgebundene Ödnis und Schlichtheit bestärkten nur die transzendente Schönheit der glimmenden Winterblume unter ihr. Zwei abservierte Trottel blickten geschlagen auf eine aufregend begehrliche Beute. Als ich sie sah, da wusste ich sofort, ich würde der dritte im Bunde der Rindviecher sein.

Ich würgte den Wagen des Fords ab und stieg aus. Ich schlenderte zu der Fremden hinüber – als hätte ich nichts getan oder als hätte ich nichts vor – und das Licht der Straßenlaterne, in dem sie sich badete, gab mir Ausrede und Gelegenheit, sie noch näher zu betrachten. Erst als ich kurz vor ihr stand, bemerkte ich, dass es sich bei dem angeblichen Lichtspender um den getarnten Von-Neumann-Melder handelte. Die winzigen Kabelfortsätze unter den Schirmen markierten den Unterschied für den praktischen Kenner.

Meine Augen waren aber schon längst gefangen von illustren Formen und formvollendeten gezeichneten Kurven, die den so meisterhaft wie idiosynkratischen Künstlerhänden des REM-Zyklus entstiegen zu sein schienen. Die Fremde trug eine dieser neumodischen Pseudotrans-Jacken – der neueste Schrei im Veiled Passions. Quälende Illusionen, die mit Enthüllung lockten aber gekonnt das warme, weiche weiße Fleisch darunter unter milchigen Schlieren und Halbdurchsichtigkeit verbargen. Sie war eine nackte Tänzerin hinter Glas und Wasserdampf. So gekonnt war dieser Trick und so pervers vollkommen in der Vollendung, dass mich alle meine leiblichen Sinne anschrien: komm nur ein bisschen näher, neige deinen Hals etwas tiefer und schiebe deinen Kopf in diesen Dornenstrauch, um die leuchtende Rose darunter zu bewundern.

Ich stand nun vor ihr.

Ihre eisblauen Augen musterten mich für den Bruchteil einer Sekunde nur. Von Kopf bis Fuß, von den Zehen bis zu den wirr abstehenden blonden Haarsträhnen unter dem braunen Hut prüfte der Blick der Löwin ihr Ziel. Ich hatte offenbar ihr Interesse gewonnen. Sie lächelte mit ihren vollen roten Lippen und ein Glanz von Schalk glimmerte in den gleichmütig glühenden Augen. Ich war mehr als einen Kopf größer. Ich war von Beruf Jäger, aber sie hielt nun meine Flinte. Ich war ihre Beute, nicht sie die meine. Und dann passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hätte – womit Männer wie ich nie rechnen in kalten dunklen Winternächten. Sie sprach mich an. Ihr Atem kristallisierte sich in der klirrenden Luft. Der warme, fruchtige und süße Duft ihres Parfüms umschmiegte meine frierende Nasenspitze.

»Hey, Mister Schick! Bock auf Asche stampfen? Vielleicht Asche schnippen?« Ihre Stimme mit diesem seltsam fremden Akzent war so dunkel wie die geheimnisvolle Nacht und strahlte die selbe raue Faszination aus wie die Nordseite des Mondes. Ich zückte ein Streichholz und schob ihr die Synth-Zigarette in den vollen roten Mund. Sie ließ es geschehen. Ihre schwarz geschminkten Augen flackerten auf – die stürmische See unter Kanonenbeschuss – als ich ihr die Zigarette entzündete. Weißer Rauch stieg zum Himmel empor und weißer Schnee fiel auf ihre spitze Nase und schmolz auf der weißen Haut.

»Nur zu gerne, Ma´am. Angenehm, Ma´am. Dürfte ich um Ihren Namen fragen?«

Sie nickte leicht und der rote Mund öffnete sich, zeigte weiße spitze Zähne und den Eingang zur Hölle.

»Jerika, Miss Jerika Mun Schoy«, sie inhalierte tief und blies mir spielerische Trugbilder von Rauch und Wasser ins Gesicht. Durch den Nebel sah ich für einen fliehenden Moment ihr selbstsicheres Grinsen. Die wunderschön gemeißelten Züge, die elegant geformten Wangen und Stirn und Nase und Kinn. Ein Schleier zwischen meinem Herzen und der Eucharistie. »Freut mich, guter Mann. Großer, starker Mann! Ein Neuzugang und Feuer und Asche! Ah, jetzt wird es aufregend, Mr. Schick!«

»Freut mich auch, Miss… Mun Schoy.« Ich wollte noch etwas sagen. Wollte einen guten Witz reißen oder eine schlaue Bemerkung fällen, aber mir fiel nichts ein. So blieb ich stumm und betrachtete sie, wollte sie mustern, wie sie mich gemustert hatte, aber mein Blick war der Blick eines Schafes vor dem Schlächter. Schließlich schüttelte ich den Kopf und wandte mich ab.

»Hey, Mr. Schick. Großer starker Mann! Bleib doch hier. Noch eine Weile… Hier ist es kalt und einsam und es ist gerade Schicht im Schacht… so wie die großen Männer sagen. Lass uns ein bisschen Asche schnippen, Asche stampfen. Gemeinsam…«

Hätte ich mich umgedreht, ich hätte ihrem Blick sicherlich nicht standgehalten.

»Das Angebot ist mir eine Ehre, Miss, aber ich bin dienstlich hier«, sagte ich.

Ich hätte mich nur zu gerne für diese Worte erwürgt, aber die Pflicht drängte mich in der Tat. Ich war nicht auf Freigang. Ich hatte eine Mission. Und so schmerzte es mich fürchterlich, als ich mich von der mysteriösen Fremden abwandte und meine weiteren Schritte die Treppe im Schatten der Old Light Towers hinauflenkte.

»Ah, Mr. Schick! Du bist ja wie all die andern! Langweilige Männer! Allesamt!«, kicherte sie hinter mir her und ich musste wiederum alle Kraft aufwenden, um mich nicht mehr umzudrehen. Ich löschte stattdessen ihren Anblick aus meinem Gedächtnis – oder zumindest versuchte ich dies zu tun. Ich holte tief Luft und konzentrierte mich wieder auf die anstehende Arbeit. Über Hundert Prozent… Der K/646 hat Vorrang. Ich knackte mit meinen Knöcheln. Ich war wütend, frustriert und wollte irgendetwas töten oder vögeln.

Die automatischen Glastüren öffneten sich vor mir und ein warmer Luftzug schlug mir ins Gesicht. Ich trat ein und blickte mich um. Es war ein hundsgewöhnliches Foyer wie es in jedem x-beliebigen Bürogebäude einen begrüßte: Ein Rezeptionstisch mit abgerundeten Kanten, anonyme Wartestühle und eine grelle, subtil flackernde Lampe, die künstlich wachhielt, aber den Geist ermüdete. Nichts hier deutete daraufhin, dass heute Nacht ein Kampf um Realitäten hier stattfinden würde. Menschen arbeiteten hier, wie an jedem anderen Tag. Sie standen auf, putzten ihre Zähne, duschten sich, zogen sich an, schlangen widerliches High-Protein zum Frühstück hinunter und machten sich gestresst und deprimiert auf zur Arbeit – entweder in irgendeiner Rostbüchse oder im überfüllten verdreckten stinkenden niemals pünktlich ankommenden Nahverkehr und obwohl dies alles genau wie eh und je abgelaufen war, waren sie nun zu Geiseln geworden. In irgendeinem Stockwerk, in irgendeinem Büro – vielleicht hinter irgendeinem Bildschirm kauernd und auf Wiregrid-Tabellen starrend – saß ihr Verhängnis. Es lauerte etwas in den Schatten dieser beiden Türme. Und es hatte wahrscheinlich bereits begonnen zu jagen.

Ich musste mich nicht lange umblicken. Die Glatze Deckers leuchtete mir von der Rezeption her entgegen. Er winkte mir zu. Ein Ausdruck von nur mühsam kontrollierter Wut und Ungeduld stand auf seinem Gesicht geschrieben, was aber nicht viel heißen mochte. Das war die Standard-Mine des Kollegen. Ich ging zu ihm rüber. Er packte mich am Revers und zog mich zu ihm herab. Der Geruch von scharfem Zitronenkautschuk schlug mir aus seinem Atem entgegen und ich musste beinahe würgen. Ich verzog demonstrativ mein Gesicht, um zumindest wortlos meinen Unmut auszudrücken.

»Wo zum Henker bleibst du, Caballero?«, sagte Decker in einem gedämpften Ton, der jedoch nicht ganz seinen Zorn verbergen konnte. Er blickte sich dabei um, als fürchtete er allzu weit aufgesperrte fremde Ohren. Auch das war Standardprozedur bei ihm – kam wohl mit dem Job, wenn man in OpSec arbeitete.

»Das war dein Vorschlag mit den Ki-Übugen. Zudem musste ich vor dem Tatort an einem Zivilisten vorbei. Konnte nicht einfach so an ihr vorüberstürmen, ohne mich verdächtig zu machen.«

»Ihr? Wen meinst du? Wen hast du um diese Uhrzeit hier gesehen?«

Ich erzählte ihm von meinem Rendezvous mit der seltsamen Fremden, wobei ich das Geheimnis ihrer Schönheit eifersüchtig für mich behielt. Als ich geendet hatte, knetete der Alte seine unförmige Nase und besah mich kritisch:

»Entweder du lügst mich an oder du hast das dümmste Weib in den New Hopes aufgetrieben… Nachts auf der Straße und Mutterseelenallein in diesem Drecksloch unterwegs – und nach deinem Blick zu Urteilen, waren ihre Möpse nicht von schlechten Eltern… Ah, schau nicht so, du bist zu einfach zu durchblicken, Caballero. Ich kann mir schon vorstellen, warum du bei ihr festgenagelt warst. Wie auch immer: Ich hoffe für deine… Zivilistin, sie verzieht sich ins Innere und zwar schnell. Bevor sie diese Metzger von Aztec Revived finden. Erst neulich ham diese Reject Hurensöhne eine wieder unten am Fluss geschlachtet und…«

Decker stoppte mitten im Satz und blickte sich um. Seine Augen blieben an der Eingangstür hängen und sahen wohl etwas, was meine angeschalteten Kunstwerkzeuge nicht wahrnehmen konnten. Er seufzte. Ein Ausdruck von angehender Migräne verzerrte kurzzeitig das schlaffe Gesicht und verengte die tief sitzenden Augen. Schließlich fuhr er leiser fort:

»Genug damit. Du siehst absolut beschissen aus, verstehste, Caballero? Wie aus einem verdammten Schlitzer-Streifen. All das Blut und dann die Augen… Jede Frau – und ganz besonders sone scharfe Ausländerin wie du beschreibst – würde doch sofort Reißaus nehmen.

So ramponiert kannst du auch nicht arbeiten. Wir müssen schließlich unter die Zivilisten hier: Da hinten!«, er deutete zu einem Punkt in meinem Rücken. Der fettige, von Adern durchzogene Finger zitterte vor meinen Augen – von einem Gichtanfall gebeutelt. »Da isn House de Shit, wie die Franzosen so schön sagen. Wasch dir zumindest das Gesicht und die Pranken – ich besorg dir unterdessen neue Kleider. Mucho pronto, Caballero!«

Decker hatte Recht. Als ich in den Spiegel blickte, sah mir ein Monster entgegen, dass ich nicht kannte. Verkrustete Blutspritzer befleckten meine Jacke, mein Gesicht und färbten meine Hände tiefrot. Reste von Fleisch und Knochen besudelten meine Ärmel. Die Reptilienaugen glühten in einem animalischen Gelb, in meiner Hast hatte ich ganz und gar meine Kontaktlinsen im Schneematsch vor dem 7/11 vergessen. Doch am schlimmsten war dieses seelenlose Grinsen, über das ich keinerlei Kontrolle hatte. Über Hundert Prozent… So siehst du auch aus. Selbst die Bettler unter der 3. State Bridge, aufgebläht mit purem Narc und sonstigem Teufelszeug, hatten wohl bessere Aussichten auf ein Date als ich heute Nacht.

Ich spritzte mir kühles Wasser ins Gesicht und wusch meine Hände gründlich, aber die Flecken auf der Jacke würde ich so nicht wegbekommen. Ich konnte also nur hoffen, dass Decker tatsächlich irgendwie neue Oberkleidung auftrieb. Wie auch immer er das in dieser kurzen Zeit anstellen mochte. Aber auf Decker war Verlass. Das wusste ich.

Wenn ein K/464den öffentlichen Frieden gefährdete, wenn das Schicksal von vielen auf Messersschneide stand, dann zogen alle ihren Kopf ein: Die Polizei, die Marines, die 7. Kavallerie und die Rats-Exekutive – aber der alte Decker? Der war da, mit mir im Schützengraben sozusagen, in all seiner glatzköpfigen und hakennasigen Pracht. In all seiner schmierigen Eleganz. Decker konnte man nicht loswerden – war genauso treu wie Herpes und Fibromyalgie.

Als ich die Toilette verließ, sah ich, wie mein Kollege angeregt mit jemandem diskutierte. Die Person hatte mir den Rücken zugedreht, doch die zierliche Gestalt und der gefaltete Rock entdeckten die weibliche Form sofort. Die schlichte aber elegant geschnittene marinblaue Uniform ließ darauf schließen, dass sie wohl eine höhere Angestellte war – wenn auch nicht zur Chefetage selbst gehörend. Ich tippte auf eine Assistentin oder die persönliche Sekretärin eines hohen Schreibtischtäters. Ich musterte eindringlich ihr Profil, während ich mich näherte. Große Brüste – gefielen mir sofort – drahtiges langes rotes Haar – gewöhnungsbedürftig aber dennoch mit Faszinationskraft – und schließlich der perfekt rundliche Mond, der sich mir förmlich entgegenzustrecken schien. Sie bückte sich zu Decker hinunter, der immer noch auf seinem Stuhl saß und gestikulierte irgendetwas auf einem altmodischen Klippbrett herum. Natürlich bemerkte Decker meinen Blick sofort.

»Ah, unser Caballero, der fromme Held der Stunde gesellt sich endlich zu uns. Hier, das ist… ehm, Schätzchen, wie war noch gleichmal ihr Name?«

»Ah, hallo, mein Name ist… oh!« In ihren jadegrünen Augen stand – nur für einen Moment – ein schreckliches Entsetzen. Sie hielt ihren Atem an, ihre schlanken Finger bedeckten ihre schneeweißen Zähne und ihren vollen roten Mund. Schweißperlen brachen zwischen den zahlreichen Sommersprossen hervor. Oh ja, sie hatte Angst. Aber sie hielt sich erstaunlich gut. Nur für diesen Bruchteil einer Zehntel Minute verlor sie die Kontrolle, verlor die höfliche Herablassung, die jedem Angestellten vom ersten Arbeitstag an eingedrillt wurde und wurde stattdessen ein gejagtes Kaninchen. Schließlich straffte sie aber ihren Körper und ihre sanfte, helle Stimme verriet keine Furcht. Ihre grünen Augen visierten die meinen und da war sie wieder: diese nichtssagende Höflichkeit und subtile Verachtung, die jeden Mitarbeiter im Service wie ein Schutzpanzer oder eine Art von abweisendes Miasma umgab.

»Mein Name ist Lucy. Lucy Keller! Freut mich Sie und Ihren Kollegen kennenzulernen. Und dürfte ich noch ihren Namen erfahren? Für mein Protokoll… Es ist mir auf alle Fälle eine große Ehre, Ihnen und Ihrem hohen Amt behilflich sein zu dürfen!«

»Ah, das da ist nur unser Caballero«, rief Decker, zwickte mich am Arm und führte mich vor, als ob ich sein begriffsstutziger Enkel wäre. »Hier, sieh ihn an, den unglücklichen Tölpel! Fährt zur Arbeit und kommt unter die Räder von irgendwelchen Rejects! Zum Glück für unsere Behörde hatte er aber Glück im Unglück, wie sie sehen. Er lebt noch. Was mich aber zu meiner vorherigen Bitte zurückführt: Wie sie sicherlich ebenso sehen, braucht mein Kollege einen neuen Anstrich, zumindest eine Arbeitsjacke oder etwas in die Richtung könnte behilflich sein. Immerhin… Wir wollen ihn ja nicht in diesem wüsten Auftritt ihre Kollegen schrecken lassen, verstehste Schätzchen?«

»… Nein… nein, das… eh… wollen wir sicherlich nicht«, stotterte das arme Ding. Sie tat mir irgendwie Leid. Ich war schon im normalen Zustand wahrlich kein schöner Anblick. Und jetzt mit meinen abgerissenen Kleidern, dem ganzen Blut und die angeschalteten Augen hätte ich es ihr wirklich nicht übel genommen, wenn sie wild schreiend davongelaufen wäre. Aber sie lächelte einfach nur. Lediglich ihr Blick verriet leicht einen Schimmer von Unsicherheit und Furcht. »Aber… ihre Augen, Mister«, sagte sie. »Sie… Sie sehen wirklich nicht gesund aus, wenn sie mir diese Bemerkung gefallen lassen. Von Rejects überfallen… das ist ja furchtbar. So schrecklich! Was für ein Glück, dass sie mit ihrem Leben davongekommen sind! Sollten wir sie aber nicht sofort in ein Krankenhaus bringen? Was auch immer sie hier zu tun haben, kann doch sicherlich warten, bis die Behörde einen anderen Mitarbeiter schickt… Und sie wollen doch sicherlich zuerst gesunden.«

»Gesunden?«, Decker lachte dreckig. »Ach, der Caballero sieht immer schlechter aus, als es ihm geht. Sie sehen ja: er steht aufrecht. Und die Augen? Nun ja, seine Eltern waren näher verwandt, als die Kirche erlaubt. Aber Liebe ist nun halt Liebe… verstehste?«

Die blutjunge Assistentin blickte noch verwirrter als zuvor. Und in diesem Moment hätte ich das zierliche Ding gerne in den Arm genommen. Aber ich wusste, dass es das nur schlimmer gemacht hätte – viel schlimmer.

»Mein Kollege scherzt gerne«, sagte ich und versuchte entgegen meines Trainings meine Augen abzuwenden. »Aber ja, es ist wahr, ich leide tatsächlich an einen seltenen Gendefekt… diese Augen habe ich seit meiner Geburt. Ich hoffe, ich schrecke sie nicht allzu sehr.«

»Oh, nein, oh nein, Mister, eh, Caballero! Ganz und gar nicht!«, beeilte sie sich zu erwidern und schüttelte den Kopf heftig. Ich schnupperte dabei die hüpfenden Partikel ihres Parfüms in der Luft – Jasmin von der Smaragdsonne. »Sie schrecken ganz und gar niemanden hier! Es sind ja sie, der verwundet ist.«

Und urplötzlich wurde die helle sanfte Stimme erstaunlich fest und fordernd: »Ich muss deshalb wirklich insistieren – oder zumindest darum bitten – sie ins Krankenhaus bringen zu dürfen. Ich sorge mich wirklich um sie!« Zu meiner Überraschung erkannte ich keine Lüge in ihrer Stimme.

»Krankenhaus? Schätzchen, bei uns armen Kirchenmäusen von der Behörde hat doch keiner eine Krankenversicherung, verstehste? Wollen sie den guten Caballero hier in den Schuldturm treiben?« Decker schnalzte mit der Zunge und klopfte ungeduldig auf den Tisch. »Frische Kleidung ist alles, was wir benötigen. Dann können wir arbeiten und wir werden Ihnen und Ihren Kollegen auch nicht allzu lange zur Last fallen. Das versichere ich Ihnen, Miss Keller.«

»A… aber sicher. Ich werde mich gleich drum kümmern. Doch… falls es ihrem Kollegen doch schlechter gehen sollte, sagen Sie einfach Bescheid. Es würde mir wirklich gar nichts ausmachen, Ihn selbst ins Krankenhaus zu bringen…. Warten Sie hier, ich werde sehen, was ich tun kann und werde den Schichtleiter informieren. So wie Sie wollten, Mister Decker.«

Sie warf uns beiden noch einen letzten Blick zu. Sie zeigte es nicht offen, aber sie musste uns beide wohl für wahre Freaks halten. Schließlich verschwand sie durch die Tür hinter der Rezeption. Wir waren erneut allein im Foyer. Das hielt Decker aber nicht davon ab, über Nervschaltung zu kommunizieren.

»Gut, Caballero, endlich etwas Privatsphäre.«

»Hirnrinden-Kommunikation ist äußerst Ressourcen-intensiv, Sir.«

»Ach, Mäuschen, beschwer dich nicht und halt´s Maul. Es gibt neue Infos… Eine drastische Wendung.«

Drastische Wendung? Ich merkte auf.

Das letzte Mal, als Decker diesen Terminus verwendet hatte, waren wir noch nicht einmal Kollegen gewesen. Ich verrichtete gerade das erste Jahr meines Dienstes als Grunt in Fort Blackthane. Damals hatte ich noch keine Ahnung von der Behörde und den Realitäts-Phoben gehabt. Aber ich erinnerte mich nun an den schmierigen alten Co-Auditoren, der in unsere Baracke kam und im Briefing-Zimmer Massen von Papier auf den Rundtisch knallte. Der Raum stank nach Tabak und Schweiß und man konnte kaum atmen. Überall besorgte Gesichter. »Hören Sie zu, meine Damen und Herren«, hörte ich ihn sagen und schleimig husten. »Drastische Wendung – sie müssen noch heute nach Fort Red.«

Nein, das waren keine besonders schönen Erinnerungen. Meine Augen verengten sich. Ich zündete mir eine Synth an.

»Drastischer als ein K/464?«, fragte ich. Der weiße Rauch stieg zwischen uns auf, aber trotzdem konnte ich durch ihn hindurch jede einzelne Pore, Narbe und Leberfleck auf Deckers schlaffer Haut erkennen.

»Was ist schlimmer, ein Waldbrand oder Benzin?«, fragte er unwirsch zurück. »Ich würde sagen, Arschlöcher benutzen das eine, um das andere zu bewirken… Versprich mir jetzt, dass du nicht gleich durchdrehst. Ich kenne dich, Caballero.«

»Ich bin Profi«, sagte ich.

»Was unterscheidet einen Amateur von einem Profi? Das Blut auf deiner Jacke?« Decker hob die Hand, bevor ich etwas erwidern konnte. »Wie auch immer: Ich hab kurz vorhin nach Hause gefunkt. Wollte mehr Infos über diesen netten Laden hier einholen, bevor wir in den Kaninchenbau eindringen – verstehste… Nun ja, stellt sich heraus: der jetzige Capitano is wohl´n Sympathisant der Societas Nova.«

»Den Butchern gehört der Laden hier?!« Unwillkürlich blickte ich mich um. Meine Augen verengten sich und meine Hand fuhr unbewusst zur Krag unter der Jacke.

»Das hab ich nicht gesagt. Ich sagte nur, dass der Schichtführer gewisse… Kontakte hat.«

»Die kommen niemals allein, Decker, das weißt du.«

»Beruhig dich, Caballero, die werden uns schon nich gleich auseinandernehmen, verstehste. Ich hab hier alles unter Kontrolle.«

»Als was hast du uns ausgegeben, Decker?«

Eine kurze unangenehme Stille erhob sich zwischen uns. Die Lampe summte hörbar. Der Rauch stieg zur Decke empor und die trockene, abgestandene Luft im Foyer ließ mich schwitzen. Decker räusperte sich:

»Offiziell sind wir Agenten der Einwanderungsbehörde. Unsere Aufgabe hier ist es in der Belegschaft nach Illegalen zu suchen… du weißt schon, der Standard-Kram.«

»Beim Unsichtbaren…«

»Wird schon schiefgehen. Die Stadtregierung hat seit längerem einen Waffenstillstandsvertrag mit den Novas. Und ich glaub nich, dass selbst die Butcher scharf auf ein neues German-Midwest sind.«

Ich knirschte mit den Zähnen. Ich hätte gerne mit meinen Augen den Kollegen erdolcht.

»Scheiße, Decker, kein Wunder, dass der K/464ausgerechnet hier aufgetaucht ist… Ein Battle Royale…. Ich hab gesehen, wozu die Gesellschaft in der Lage ist… Das… sind… keine… Menschen!«

»Ich weiß. Ich auch. Ich war auch dort, schon vergessen?«

Ich packte die Hammerkrag, der kalte Griff fühlte sich gut auf der verschwitzten Handfläche an. Mein irres Grinsen spiegelte sich milchig im langen Lauf. Ich drehte leicht meinen Nacken und das Grinsen wurde zum stummen Lächeln von tausend weißen Schädeln in einer tiefen Grube.

»Ich mach sie kalt. Ich mach sie alle kalt. Jeder einzelne von denen muss bluten… ich schwöre, ich mach sie alle kalt«, flüsterte ich heißer und heießr und zielte nach oben zur flackernden Halogenlampe. Ich wollte abdrücken. Dieses Gesicht endlich zerschießen. Manche Narben gingen tief. Zu tief. Ich legte an.

Ein scharfer Schmerz zuckte über meine linke Wange. Mein Kopf drehte sich ruckartig nach Rechts. Verwundert rieb ich mir die Backe.

Decker hatte mir mit voller Wucht übers Gesicht gewatscht.

»Autsch«, sagte ich.

»Wir haben keine Zeit für deine Post-Partum-Psychosen, verstehste. Der Schichtführer kommt gleich durch diese Tür. Du wirst jetzt zwei Dinge tun: 1. Schweigen wie ein Grab. 2. Das verdammte Maul halten. Ich rede und regel das mit den Gesellschaftern. Klar? Du wirst nicht die Kontrolle verlieren wie in Fort Red! Wir brauchen deren Kooperation. Ansonsten werden wir den K/464niemals kriegen. Habe ich mich klar ausgedrückt, Caballero?«

»Jawohl, Sir«, sagte ich. Ich verbarg die Waffe wieder in dem Halfter unter meiner Jacke. Obwohl ich gestehen muss, dass in diesem Moment mein Abzugsfinger gewaltig juckte. Welcher amerikanische Patriot mit Feuer in den Adern würde denn nicht sofort German-Midwest rächen? Aber ich war auch ein Jäger – Deckers Bluthund – und so schwieg ich brav mit zusammengebissenen Zähnen, als der Capitano auftauchte.

»Ich hab es den anderen Handlangern Ihrer Behörde schon Tausend Mal gesagt«, polterte der fette Mann, bevor er überhaupt einen Blick auf unsere gefälschten Ausweise werfen konnte. »Wie oft zwingen Sie mich noch festzustellen: Wir beschäftigen hier in diesem öffentlichen Unternehmen nur einwandfreie Stadtbürger. Alles absolut legal mit den richtigen Dokumenten…« Seine Hand fuhr fahrig durch das schüttere Haar. Die Augen hinter den großen Brillengläsern zwinkerten nervös. Und wann immer er seine graue Krawatte richtete, knisterte der schlecht geschnittene Anzug hörbar. Der untersetzte Schichtleiter schien mir auf den ersten Blick nicht wie ein glühender Fanatiker der Societas Nova, aber solche Eindrücke konnten durchaus täuschen. In Ford Red hatte ich viele von denen umgelegt und manche von ihnen hatte ich einmal für meine Freunde gehalten.

Ich positionierte mich so, dass ich schnell zur Waffe greifen konnte. Unablässig scannten meine angeschalteten Augen die Umgebung ab. Ich wollte Deckers Worten trauen, doch die Butchers mochten zwar intelligenter und zielstrebiger sein, letztlich waren sie aber genauso unberechenbar und brutal wie die Rejects auf den Straßen. Ich dachte an die Grube in Fort Red. Eine Kugel für eine Person. Effizienz angetrieben von Fanatismus. Meine Hand blieb immer in der Nähe der Krag, während die angeschalteten Augen vom schwitzenden Antlitz des Capitanos, über die Tür in seinem Rücken, zum Eingang und schließlich zum Aufzug glitten.

»Decker, mein Name, freut mich auch. Und nun zum Geschäftlichen: Wir kümmern uns nicht um Gesagtes, Mr. Roth, meine Behörde interessiert sich lediglich für kaubare Evidenzen«, emulierte mein Kollege den arroganten pseudofachlichen Behördenton, der keinen Widerspruch duldete. »Also lassen sie mich und meinen Kollegen einmal durch ihr Gebäude marschieren, ihre Akten anschauen und unser Gewissen beruhigen. Dann können wir sie auch schon wieder in Ruhe lassen. Mehr muss heute Nacht nicht passieren.«

»Das sagt ihr immer. Und immer wieder kommt ihr. Ihr Menschenjäger wart doch letzten Monat schon mal auf meiner Schicht. Ihre Kollegen haben nichts gefunden. Und warum? Weil ich ein gesetzestreuer Bürger der Stadt bin. Meine Loyalität gilt den Föderalen Städten, dem Präsidenten, dem Rat und seinen Gesetzen und wir sehen hier das alle so. Also warum können Sie´s nicht unterlassen, mir und meinen Arbeitern auf den Sack zu gehen? Ja, ich muss insistieren: Ihre ständigen Überfälle schädigen mittlerweile die Psyche meiner Angestellten. Meine Familie kann nicht mehr arbeiten, wenn ständig Agenten der Stadt über ihre Schulter blicken. Wenn das so weitergeht, werde ich Beschwerde beim Stadtgericht einlegen! Und ich werde dabei ganz bestimmt Ihren Namen nennen, Mr. Decker!«

»Mr, Roth, Ihnen ist bewusst, dass wir im Auftrag der Stadt hier sind?«

Der Mann schüttelte den Kopf. Und urplötzlich war da dieses gefährliche Glitzern in den Augen – der Blick eines Raubtieres. Diese Fratze kannte ich. Ich spannte meine Muskeln unter der Jacke an.

»Im Auftrag der Stadt sagen Sie?« Er schob seine Brülle über die Nase, hauchte die Gläser an und putzte sie mit einem seidenen Tuch, bevor er sie wieder aufsetzte. Der Butcher lächelte. Und der falsche Arbeiterakzent machte einer gelehrten Art von lauernder Grausamkeit Platz: »Mr… Decker, Ihnen ist bewusst, dass diese Stadt kein Monolith ist? Nein, sie ist ein Vogelnest. Sie füttert nur diejenigen Küken, die am lautesten schreien. Alle anderen müssen verhungern oder werden in die Tiefe gestoßen. Ich – zu meinem Glück – kann sehr laut schreien. Wie laut können aber sie rufen? Und wird sie jemand hören? Hier?«

Decker erhob sich von seinem Stuhl. Ich tat es ihm nach. Er stützte sich mit seinen Händen auf die Rezeption und lehnte sich leicht nach vorn. In der Kaserne damals nannten wir diese Position den zurückweichenden Stier. Decker lächelte freudlos. Seine Stimme war hart.

»Ach, lassen wir diese Spielchen, Freund. Sie müssen mir nicht drohen, denn ich bin hier nicht Ihr Feind. Zumindest nicht heute Nacht.«

»Das ist mir bewusst. Sie sind kein Feind. Sie sind Müll. Doch selbst Abschaum wie euch entsorgen wir hier nicht… nein, ihr werdet nicht die Ehre bekommen, der Stadt Wärme zu spenden…«

Ich verengte meine Augen. Gewalt lag nun wie eine schwere Wolke von Schweißpartikeln und Ölgeruch in der Luft. Doch ich sah niemanden außer die untersetzte Gestalt des Butchers vor uns. Er meinte es aber Ernst mit seiner Drohung. Das war klar. Ich tastete nun behutsam mit meiner Hand nach der Krag. Ja, der Griff fühlte sich angenehm kühl an.

»Gut. Sie gewinnen. Wir gehen.«

Mein Training zwang mich, das Arschloch der Societas Nova stets im Auge zu behalten, ansonsten hätte ich einen überraschten Seitenblick zu Decker geworfen. Dieser zuckte mit den Schultern.

»Es ist ihr Grab. Und das was nun heute Nacht passiert, wird man Ihnen anlasten. Alles. Selbst Ihre Familie wird sie verstoßen… und dann sind sie allein.«

Decker schritt, ohne sich noch einmal umzudrehen, zum Eingang. Die Türen öffneten sich und ein kalter Windstoß kam von draußen herein, kühlte die heiße Haut und ließ die künstlichen Haare auf meinem Handrücken zu Berge stehen. Ich blieb sitzen und wandte keine Sekunde meine Augen von dem Butcher. Und endlich seufzte der Capitano. Er putzte erneut seine Brillengläser und blickte zu Boden.

»Wen suchen sie?« Ich konnte das Gesicht meines Kollegen hinter dem breiten Rücken nicht sehen, aber ich wusste, dass er sich ein kurzes Grinsen erlaubte.

»Einen üblen Burschen. Glauben Sie mir: diesen Müll wollen selbst Sie nicht übernehmen.«

»Ach ja? Wir verbrennen hier so ziemlich alles.«

»Er ist ein Schlitzer und ein Stecher. Ich hoffe, Sie haben Ihre Damen in letzter Zeit nicht ohne Aufsicht gelassen.«

»Wenn einer von dieser Sorte hier wäre, wüssten wir´s. Wann sollte denn Ihr Schlitzer und Stecher hier angekommen sein?«

»In den letzten drei Tagen, wahrscheinlich. Schätze ich. Lassen Sie mich raten, es gab tatsächlich Neuanstellungen in diesem Zeitraum…«

Der Butcher blickte auf. Seine Augen verengten sich und ein erneuter Schweißausbruch glitzerte auf seiner Stirn. Ich hielt meine Hand weiterhin nahe bei der Krag. Die Gewalt war noch nicht entschärft. Sie brodelte immer noch… unterschwellig aber unvermeidlich, wie der von Magma verschleimte Rachen Yellowstones.

»Nur drei.«

Deckers Augen leuchteten auf, als er sich erneut umdrehte.

»Ja?«

»Wir hatten eine neue Assistenzposition zu besetzen, der Sektionsleiter war mit der… Leistung der Vorgängerin nicht zufrieden…«

»Namen! Muss ich Ihnen, denn alles aus der Nase herausziehen? Es geht um Menschenleben.«

»Die neue Assistentin heißt Lucy Keller, soweit ich mich recht entsinne.«

Meine Muskeln versteiften sich. Ich grinste unwillkürlich, doch der Capitano konzentrierte sich nun ganz und gar auf Decker, so konnte er den Totenschädel direkt vor ihm nicht sehen.

»Dann gibt es noch einen frischen Zeitarbeiter, den wir von Timehigh Work angefordert hatten. Er fährt den Kran beim Trichter – Der Name… Ach ja… Frank Delgado war das… und dann natürlich – gibt es noch mich…«

»Sie sind der neue Vorarbeiter dieser Schicht?«, fragte Decker.

»Für die letzte. Ich habe Überstunden gemacht und wollte eigentlich gerade gehen.«

»Das können sie streichen. Sie bleiben hier, bis wir unseren ungebetenen Gast gefunden haben.«

»Sie haben kein Recht mich hier festzuhalten. Sie sind die Einwanderungsbehörde, nicht die Polizei. Und meine Papiere sind in Ordnung.«

»Halt´s Maul, Reject. Weißt du, wie viele ich von deiner Sorte in Fort Red umgelegt habe? Wir graben größere Gruben als ihr.«

Ich zog das Revers meiner blutbesudelten Jacke zurück und enthüllte endlich den silbernen Lauf der Hammerkrag. »Du bleibst schön brav hier.«

»Meine angeschalteten Augen nahmen genüsslich das leichte Zittern der Oberlippe war, als er sprach.

»Haben Sie auch nur die geringste Ahnung, wie viele Brüder ich hier an meiner Seite stehen habe? Selbst in der tiefsten Nacht steht die Familie zusammen.«

»Bullshit. Du und deine verkommene Brut seid Ratten. Niemand ist hier, der dich verteidigt. Ansonsten wären wir schon längst tot. Deine Butcher-Kollegen halten sich zurück. Die wissen, was gut für sie ist. Und selbst die haben keine Lust darauf, für einen ehemaligen Reject wie dich draufzugehen.«

»Woher wissen Sie….«

Der Mann wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ein angestrengtes Lächeln verzerrte den Mund und die schwarzen Knopfaugen zu einer starrenden Fratze.

»Natürlich, natürlich. Wie gesagt, wir sind hier alles staatstreue Patrioten. Wir kooperieren immer zu 100 Prozent mit den Behörden.« Der Capitano verbeugte sich steif, als transmogrifiziere er urplötzlich in einen Salaryman aus dem Ostimperium.

»Ich muss Sie bitten, Ihre Kollegen von der Schicht zu kontaktieren und sich zu versammeln – friedlich. Bedenken Sie, wir entsorgen heute Nacht den Müll auch für Sie, verstehste?«, schob Decker hilfreich ein und unter unser beider Blicken brach schließlich der letzte Widerstand des zurückgelassenen Butchers.

»In Ordnung, in Ordnung, in Ordnung. Ich werde Ihnen die Tore aufmachen und meinen Kollegen… Bescheid sagen. Aber Sie machen, dass Sie von hier verschwinden, sobald Sie ihre Beute haben.«

»Wir könnten schon wieder weg sein, wenn Sie von Anfang an etwas kooperativer gewesen wären«, insistierte Decker.

Der Butcher schoss Dolche aus seinen Augen ab, doch zog er schließlich einen Musen von Takedo Industries hervor. Das Knacken und Rauschen des Sprechers erfüllte die Lobby.

»Eric hier, es kommen gleich zwei Männer zu euch durch… von der Behörde… ja, mal wieder. Alle Kollegen von der Schicht haben sich sofort und unverzüglich im Raum A7 einzufinden… zur Befragung.«

Der Blick des Vorarbeiters traf den Deckers. Er räusperte sich: »Und… ach ja… wascht eure Hände gefälligst vorher.«

Ich lächelte. »Danke«, sagte ich.

Mit meiner Linken packte ich den Vorarbeiter am Kragen, während die Rechte auf das Kinn zielte. Der Schlag war so milde wie möglich gewesen, trotzdem knackte das Kiefer hörbar. Der Capitano verdrehte die Augen und erschlaffte wie ein umfallender Sack Kartoffeln, doch bevor er zu Boden sacken konnte, zog ich ihn mit einer fließenden Bewegung über den Rezeptionstisch. Ich band dem Ohnmächtigen zuerst Hände und Füße und schleifte ihn schlussendlich zu einer dunkleren Ecke des Foyers, wo er etwas geschützt vom Eingang und vom Rezeptionstisch aus war. Nach getaner Arbeit setzte ich mich wieder neben Decker.

»Etwas voreilig«, sagte er.

»Er hätte versucht bei der ersten Gelegenheit abzuhauen… die Butcher unter den Angestellten zu warnen. Ich will heute Nacht kein Blutbad. Und außerdem können wir ihn somit schon einmal von der Verdächtigenliste streichen.« Mein Blick wanderte zum gebundenen Vorarbeiter, der im Schatten aussah, wie ein abgestellter und niemals abgeholter Müllsack. »Der K/464hätte sich nicht ausknocken lassen…«

»Wahrscheinlich«, erwiderte Decker und sah aus, als ob er sich ebenfalls gerne eine Zigarette angezündet hätte. Zu Blöde, dass er nach der dritten Scheidung damit aufgehört hatte und ich war zu höflich und zu gut erzogen, ihn erneut der Gefahr der Sucht auszusetzen.

»Effiziente Polizeiarbeit unter höchstem Risiko. Deshalb habe ich dich aus dem Hypnos geweckt und nicht Halger«, fuhr der Kollege fort. »Trotzdem… wer führt uns nun zu Raum A7?«

»Still!«, flüsterte ich. »Es kommt jemand.«

Tatsächlich vernahmen meine scharfen Ohren hastige Schritte hinter der Tür zur Rezeption. Ich rechnete damit, dass Lucy Keller gleich wieder auftauchen würde – aber was ich sah, war stattdessen das Schwarz von Rabenfedern und von tief in Erde verborgener Kohle.

Links:

Beginn der Geschichte: https://styxhouse.club/2024/03/24/switch-head-switch-on-teil-1/

Vorheriges Kapitel: https://styxhouse.club/2024/06/01/switch-head-switch-on-teil-2/

Nächstes Kapitel: https://styxhouse.club/2024/07/02/switch-head-switch-on-teil-4/

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2 thoughts on “Switch Head!! Switch On!!! Teil 3

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