Switch Head!! Switch On!!! Teil 2

Eine Cyberpunk-Noir-Geschichte


Die schwere Missbilligung in der darauffolgenden Stille entging mir nicht. Trotzdem tat ich so, als ob ich Deckers Unmut nicht wahrnehmen würde. Stattdessen kurbelte meine Linke das manuelle Autofenster herunter und der klirrend kalte Winterwind wusch für einen Moment über mein vom Schlaf teigiges Gesicht wie tausend kleine Nadeln. Erneut knirschte die Nervschaltung. Ich schloss das Fenster.

»Jagen? Hältst du dich für einen Revolverhelden?«, spottete Deckers Stimme. »Trittst die Tür vom Salon ein, ja, marschierst in die Höhle des Löwen, legst den Bad Boy um und spazierst mit nem Mädchen unterm Arm wieder raus? Ist das der pubertäre Wahnsinn, der dich drückt?«

»Das war zumindest der Plan«, sage ich.

»Bei den heiligen Gründervätern, Caballero, hast du nichts aus Fort Red gelernt? Deine Werte sprengen den Toleranzbereich. Mal wieder…

Verdammich, so können wir nicht weiterarbeiten. Such dir´n Fleckchen zum Anhalten, Junge. Du musst erst einmal runterkommen. Trink ne NarcCola oder rauch ne Synthie, aber bring gefälligst den verfickten Kreislauf in Kontrolle. Ich brauch hier keinen Ochsen auf Hormontrip.«

»Da sagen die Mädchen in Veiled Passions etwas anderes.«

Ein Schatten fiel über meine Augen. Wie ein Falke über eine fliehende Maus kam der Schmerz hinter meiner Stirn – blitzartig und ohne Vorwarnung. Ich ächzte und für einen Moment musste die Wagenautomatik die Steuerung übernehmen, denn meine Finger gruben sich unbewusst in die Schläfen, aber natürlich konnten diese den grässlichen Splitter nicht finden. Es gab keinen Splitter. Es gab keinen Verursacher dieser Pein. Mein Gehirn selbst erzeugte dieses unsägliche Pochen und Stechen. Es fühlte sich an, als ob tausend Rosendornen von allen Seiten in den grauen Schwamm bohrten. Wunderbar. Und dazu kam noch Deckers zerknitterte Stimme, die mich ermahnte.

»Tut mir leid, Caballero, aber du lässt mir keine Wahl. Du läufst heiß. Zu heiß. Blöder Anfängerfehler. Hätte ich nicht von dir erwartet. Zumindest nicht noch einmal…«

»Ah, fick dich«, sagte ich und bereute es in dem Moment, als die Pein noch einmal drei Stufen zulegte.

»Ruhig Blut, Brauner. Du bist nicht gänzlich bei Verstand – so kurz nach dem Hypnos. Wie oft soll ich dir das noch einbläuen müssen ? Das macht mir keinen Spaß, das weißt du, aber ich werde dich solange braten, bist du wieder klar in der Birne wirst. Also hör jetzt gut zu:

Du bist kein Pistolero. Du bist auch sicherlich kein Held und außerdem bist du viel zu hässlich für die honetten Weiber, die Kredit statt Bargeld nehmen. Nein… Caballero. Wir beide sind nichts mehr als beschissene Frontschweine. Wir stehen knietief im Matsch von Verdun und die Gerrys haben unsere Stellung heute als Zielübung für den großen Karl ausgesucht, kapitsche?«

Ich rollte mit den Augen. Aber ich biss mir auf die Zunge. Ich war von Decker angeschaltet worden, aber genauso gut konnte der Vorgesetzte mich auch wieder ausschalten und dann würde Halger oder irgendein anderer Trottel die Prämie oder zumindest die Ehre des Todes einstreichen.

»Keine Zeit für ne Kontrollübung, Sir. Der 464 wird nicht warten, bis die Hochlaufphase nach dem Hypnos abgekühlt ist«, insistierte ich trotzdem. »Ich habe mich nun unter Kontrolle«, schob ich hastig hinterher, bevor Deckers fettiger Daumen allzu schnell wieder auf den roten Knopf des Nervbrenners rutschen konnte.

»Lüg mich nicht an, Junge, ich seh hier deine Werte klar vor mir, schon vergessen? Die müssen wir runter kriegen. Ansonsten bist du mir so viel Wert, wie ein Fuchs im Hühnerstall. Ich brauche einen Jagdhund für diesen Job und keinen brünftigen Ochsen.«

Ich resignierte und Decker sprach weiter.

»Fünf Ticks – für ne Ki-Einheit – das macht bei unserem Projekt heute Nacht keinen Unterschied mehr. So viel Zeit kriegst du. Du willst jagen? Das wirst du. Und ich verspreche dir, ich werde dich in das dunkelste und dreckigste Fuchsloch des ganzen Waldes schicken. Aber erst, wenn ich pfeife und keinen Tick vorher. Vergiss nicht, Caballero, Contenance ist das Gebot des Jägers. Hehe…«

»… Verstanden. Ki-Kontrolle wird durchgeführt. Ich melde mich in fünf Ticks wieder.«

Und damit wurde die Verbindung stumm. Ich kratzte mich an der Schläfe, dort wo zuvor die Wut des Nervbrenners am meisten gebohrt hatte. Contenance? Den Begriff hatte Decker wohl aus irgendeinem Trainings-Manual für Jäger rausgezogen. Aber mein Kollege hatte auch das seltene Talent, auswendig gelerntes tatsächlich zu verinnerlichen und zu seinen eigenen Schlüssen zu kommen. Das verlieh ihm eine nicht oft gesehene Ehrlichkeit und Autorität in dieser Welt – selbst wenn er die Worte von Theoretikern und Büroaffen Buchstabe für Buchstabe wiederholte. Ich gehorchte also nicht nur wegen des Schmerzes.

Die erste Hitze und Aufregung des Wiedererwachens versiegte allmählich und klarerer Gedanken überschrieben meine simple Tötungslust, als ich meinen Wagen von der Schnellspur des Intracity-Highway lenkte und mich wieder in den normalen Stadtverkehr einfädelte. Ich holte tief Luft, meine Finger umklammerten das Lenkrad und mein Herz schien nun synchron mit dem Kolbenschlag des Motors. Und in diesem Moment dachte ich, ich wäre ganz allein, dass dieser glitzernde und funkelnde Müllhaufen vor mir und im Rückspiegel, dass diese ganze Stadt und der schwarze Himmel über ihr tatsächlich nur für mich geschaffen worden wären.

Ein Gefühl von Verantwortung überkam mich bei diesem Gedanken. Mein angeschalteter Körper war immerhin ein zweischneidiges Schwert. Ein Jäger, der die klammernden Finger des Hypnos nicht abschütteln konnte, war nichts weiter als ein Betrunkener, der an einer scharfen Granate herumfummelte. Dieser Müllhaufen hatte einen besseren Wächter verdient. Ich betete also um den Schutz des Unsichtbaren, denn dieser – so raunte man in dunklen Ecken – favorisierte sogar die weniger Klugen. Und wer sich mitten des Nachts wie ein Dieb in das Revier eines K/464 begab, war definitiv nur selten klug zu heißen.

Ich bog nach rechts von der Hauptverbindungsstraße des Viertels ab. Auf der Suche nach einer geeigneten Ruhestelle, brachte ich schließlich den röhrenden Motor meines Fords auf einem desolaten Parkplatz zu stehen. Ich befand mich vor dem niedrig geduckten Gemäuer eines 7/11. Der Laden war schon vor langer Zeit aufgegeben worden. Die Automaten neben den mit Holzbrettern vernagelten Schiebetüren schienen aber noch zu funktionieren. Das ließen zumindest die grell blinkenden Neonlichter und Aufschriften vermuten: Mr. Thirstkiller et Friends. Ich war milde überrascht, um ehrlich zu sein. Wer auch immer die gute Seele in dieser Wüste war, die Alk- und Spirit-Spender in dieser gottverlassenen Gegend wartete und befüllte, besaß wohl die selbe Treue der Nibelungen auf der Jagd nach Kriemhilde. Ich lächelte bei diesem Gedanken. Auch ich würde heute einem Monster in seiner eigenen Höhle nachstellen müssen. Und auch ich hatte schon längst mein Schiff für den Rückweg verbrannt. Auch ich war jemand, der seine Aufgabe nicht aufgeben konnte, auch wenn sie letztlich nur den Tod brachte. Das teilte ich mit den Nibelungen auf ihrer letzten Reise. Das teilte ich mit dem unbekannten Automatentechniker, der sich in Reject-Gebiet wagte, nur um die einwandfreie Funktionsweise von NarcCola-Spendern sicherzustellen. Der Unsichtbare segne die Arbeiter – in dieser Nacht und auch in jeder anderendenn es war doch der gewöhnliche Arbeiter undnicht der General und der König, der dein Fleisch vor den Rejects beschützte. So betete ich.

Meine angeschalteten Augen analysierten für eine Weile den verwaisten Platz: Ausgeschlachtete Autokadaver, zersplitterte Bierflaschen, zertretene Kartons, benutzte Spritzen und Pfützen von Öl, eingetrocknetes Blut und sonstige undefinierbare Flüssigkeiten – nichts was meine Sensoren in Alarmstimmung schalteten. Als ich die trockene Wärme und den Schutz des Wagens verließ, blies mir die eisige Kälte eines späten Winters ins Gesicht. Schneeflocken tanzten vor mir, sanken sachte herab und schmolzen auf meiner Haut. Ich prüfte den Sitz meiner Krag unter dem Mantel. Dabei fiel mein Blick auf meine Handknöchel, die sich durch den Exo-Gummi hindurchdrückten. Ich war bleich wie ein Gespenst und mit meinen eingeschalteten Augen musste ich für einen guten Bürger dieser Stadt schrecklich aussehen – man konnte mich leicht mit einem Einwohner des atomar verseuchten Transsylvaniens verwechseln. Das bezeugte auch mein Spiegelbild in einer öligen Pfütze zu meinen Füßen. Ich blickte mich noch einmal um: Niemand war zu sehen – weder gute noch schlechte Bürger. Gut.

Ich holte tief Luft und atmete ein und wieder aus. Ich streckte meine Arme zum Nachthimmel empor, als ob sie die Sterne greifen könnten, die sich hinter den tief hängenden Wolken verbargen. Kochendes Wasser ist gut. Der explodierende Kessel ist schlecht. Dreh die Hitze runter. Brodeln aber nicht überfließen. Ich rief mir die alten Merksprüche aus der Rekrutenzeit in Erinnerung, tat einige schnelle Ki-Atemübungen und spürte letztlich, wie mehr und mehr die Klarheit in meinem Kopf die Oberhand gewann über Lust und Hitze. Die Winterkälte half dabei sehr, um diese lodernden Flammen in meinem Inneren zu ersticken. Ich riss meinen Blick von weißen Schenkeln los und meine Ohren wurden Taub gegenüber den flehenden Stöhnen und Stößen. Auch wenn die inneren Komponenten mit einer Flüssigmetall-Kühlung verbanden waren, so konnte dieser seelische Brand nur durch den schneidend frostigen Wind erstickt werden. Es brauchte dieses ständige Zwicken auf der Haut und im Gesicht – diese ständige Ermahnung der Realität, um die Fantasien zu besiegen. Zum ersten Mal, seitdem ich angeschaltet worden war, nahm ich also meine Umgebung wirklich bewusst war. Das Bild vor meinen Augen war nun mehr als nur ein Theater. Ich hatte einen Körper, dieser war schwer und die Welt zog ihn an sich. Ich war hier verankert, so wie alle anderen auch, ein Teil dieser Natur und nicht nur Beobachter. Ich schüttelte den Kopf. Ich versuchte zu sehen.

In der Ferne hinter dem niedrig gedrängten Flachdach des 7/11 ragten zwei Türme empor. Die Lichter in einigen Büros brannten selbst zu dieser unheiligen Stunde noch. Ein Übergang verband die beiden hässlichen Beton- und Glaskästen – oben irgendwo am 14. Stock, so schätzte ich. Das waren also die berüchtigten Oldlight Towers. Wie von Juwelen und Ringen bereifte Finger ragten sie in die winterliche Nacht empor. Meine angeschalteten Augen verengten sich: Nichts schien an diesen Bürokomplexen auffällig zu sein, die typische glitzernde und gleichzeitig gänzlich glanzlose Corpo-Hölle eines Mittelklasse-Angestellten. Aber heute Nacht trog dieser Anschein ganz und gar. Ein Jäger ging dort um und diesen Jäger zu jagen, war nun bis zum Sonnenaufgang meine Pflicht. Nur wenn der 464 im Staub zu meinen Füßen lag, gab es endlich Feierabend und mit etwas Glück vielleicht sogar extra Freigang dazu. Ah, Freigang. Der Gedanke war unrealistisch aber nett. Nicht schlafen, nicht jagen, sondern einfach nur sich für eine Weile amüsieren und guter Bürger sein. Vielleicht war meine Punkte-Karte für das VP immer noch gültig? Leider hatte ich es versäumt, Decker zu fragen, wie lange ich geschlafen hatte. Solche Fragen und deren Antworten galten aber auch als unhöflich – ähnlich wie Gehaltsgespräche.

Ich begann mir die Beine zu vertreten, um mich von diesen nutzlosen Gedanken abzulenken. Zudem fröstelte ich leicht. Ich blickte auf die Armbanduhr am linken Gelenk. Fünf Ticks waren beinahe vorbei.

Vor dem Aufbruch entschied ich mich aber noch zu den beiden Automaten rüberzuschlendern. Eine NarcCola kurz vor dem Job wäre genau das richtige. Jetzt, wo ich mich weitestgehend abgekühlt hatte, schien mir die vorherige Hast äußerst peinlich. Decker hatte Recht gehabt, wie so oft. Ich hatte mich wie ein Anfänger benommen, wie einer von den Feuerwehr-Rekruten, die mit heulendem Alarm aus der Garage donnerten und dabei das Alarmlicht herunterfuhren. Es war vernünftig gewesen, so sehr es auch schmerzte, dies zuzugeben, mir eine kurze Pause zu verordnen. Manchmal war das alte Arschloch echt für etwas zu gebrauchen. Ich tippte am Automaten die Nummer 3 – wie immer –, seufzte, als das Ding nicht funktionierte und trat schließlich mit meinem Fuß dagegen. Die Maschine war stark, aber mein Fuß war stärker. Letztlich rückten die Innereien aus Draht und Eisen die Dose doch noch heraus. Der Behälter zischte und die bittere Flüssigkeit rann meine Kehle hinab. Ach, NarcCola, was für eine herrliche Pampe! Lange konnte ich mich aber nicht an der ambrosischen Wärme des Synth-Kaffe-Derivats laben. Hinter mir knirschte es. Schwere Fußschritte im Schlamm und Schnee. Ich seufzte. Warum so früh?

Als ich mich umdrehte, hatten die Rejects meinen Wagen schon umstellt. Sie waren zu dritt. Und sie blockierten den Ausgang des Parkplatzes. Einer von ihnen führte eine schwere Kette in den Händen, der andere hatte eine Art von Stahlrohr an seine Schulter gelegt, doch der dritte war gänzlich unbewaffnet. Zumindest oberflächlich gesehen.

»Was tust du hier, Freund? Bist du liegengeblieben? Brauchst du Hilfe?«, sagte derjenige mit leeren Händen. Das Tattoo auf seiner Stirn tanzte dabei hin und her, bewegt durch die filigranen Muskeln unter der Gesichtshaut. Meine angeschalteten Augen konnten es zuvor nicht richtig ausmachen. Erst als er ins Licht eines Scheinwerfers trat, erkannte ich die typische Opferszene: Zwei Männer, eine Frau – zwei Opfer, ein Opfernder. Dieser dort, so erfasste ich sofort, war das Alphatier der Gruppe. Der Reject-Anführer kickte mit seinem Fuß gegen das Heck des Fords. Ein Stich von Zorn überkam mich bei dem dumpfen Geräusch. »Ich und meine Freunde hier können dir gerne Starthilfe geben. Schicker Wagen, übrigens. Gefällt mir über alle Maßen.«

»Gehört der Firma«, sagte ich und nickte leicht. »Danke.«

»Der Firma gehört er«, wiederholte er. Atem kristallisierte an der Luft, als er ein amüsiertes Grunzen ausstieß. Ein bösartiges aber lautloses Grinsen floss dabei über das Gesicht des Tätowierten, ein anderer lachte heißer. Doch es stand auch Nervosität auf ihrem Antlitz geschrieben. Offenbar ahnte die Gruppe von Rejects bereits, dass hier etwas nicht stimmte, denn welcher normale Tropf in dieser Situation würde so gemächlich herüberschlendern, wie ich es gerade in diesem Moment tat. Das Alphatier streichelte mit seinem Finger über die rote Lackierung.

»Es gehört sich nicht, fremdes Eigentum anzufassen. Ich muss Sie schärfstens darum bitten, dies zu unterlassen«, insistierte ich nun etwas lauter. »Ansonsten kann es Probleme mit der Firma geben.«

»Anfassen? Ich fass doch gar nichts an?« Der tätowierte Reject schritt den Wagen entlang, ein schrilles Kreischen hallte über den Parkplatz, als er dabei mit einer abgebrochenen Glasspitze an meiner Karosserie entlangfuhr. Ich grinste, ein unfreiwilliger Muskelreflex, wann immer die Nervschaltung ruckartig meinen Körper in Bereitschaftsmodus umschaltete. Nichtsdestotrotz freute ich mich auf das Kommende. Unmutierte gehörten normalerweise nicht in mein Beuteschema, aber für Monster machte ich gerne eine Ausnahme.

»Wir akquirieren hiermit lediglich Firmeneigentum… eine Geschäftstransaktion unter Freunden, wenn der Herr so möchte: Wir geben dir Starthilfe und wir kriegen das Auto.« Erneut grinste der Mann, aber der schale Glanz falscher Freundlichkeit war aus seinen Augen gewichen. Barbarische Blutlust kochte stattdessen in den schwarzen Kesseln. Auch er war sich nun klar, dass er hier nichts gewinnen konnte ohne Blut. Ich trat nun aus den Schatten. Er sah nun meine Augen. »Einfacher gesagt: wir werden den Karren stehlen. Und du hast das wunderbare Glück dabei, nicht als Zusatzleistung im Kofferraum zu liegen«, sagte er und versuchte seine Unsicherheit vor mir und seinen Bluthunden zu verbergen.

Die drei hochgewachsenen Gestalten umstellten mich in einem Halbkreis. Auch wenn es bitterkalt war, so hatte niemand von ihnen eine Jacke oder ein Hemd. Die nackte Narben-übersäte bleiche Haut, wie eine zerfetzte Kriegsfahne, war das Stammeszeichen der Rejects. In jedem Kampf musste es offen gezeigt werden. Ich tat so, als musste ich husten und führte dabei meine Hand zur Krag, aber im letzten Moment entschied ich mich anders. Die Kugeln würde ich aufsparen. Hier waren sie nur Verschwendung.

»Stehlen? Davon rate ich ab – vehement«, erwiderte ich. »Und außerdem wäre es nur stehlen, wenn der Diebstahl nicht unter meinen Augen stattfinden würde. Somit ist aber das, was sie hier tun, Raub. Und Sie und ihre Gesellen kennen sicherlich die Strafe dafür.«

»Halt´s Maul, Anzugratte! Oder ich schneid dir die Zunge raus, sodass du dein eigenes Arschloch lecken kannst. Dann ficke ich es blutig und du wirst härter stöhnen als die VP-Schlampen!«

Wie unhöflich, dachte ich. Diese Rejects ließen nur allzu schnell ihre Maske fallen, denn es war schwer, eine Illusion aufrechtzuerhalten, wenn man dasjenige nicht kannte, was die Illusion eigentlich darstellen sollte. Ich hob meine Hände.

»Nun gut: Ungeachtet ob Raub oder Diebstahl – wir können uns doch darauf einigen: das was Sie inbegriffen sind zu tun, verstößt in jeglicher Hinsicht und offensichtlich gegen das Gesetz der Acht Gründerväter und noch schlimmer: gegen das Gebot des Unsichtbaren, in dessen Namen sie sprechen… auch wenn diese es selbst natürlich verleugnen würden«, sagte ich. »Und die Lust, die du suchst, steht ebenso gegen den Willen des Herrn, der es doch gut mit uns armen Tropfen hier unten meint. Ich warne Sie also hiermit offiziell: Kehren Sie um! Und tun Sie, als hätten Sie mich nie hier gesehen.«

Der Mann fletschte die Zähne und stieß ein erneutes Grunzen aus.

»Hier gibt’s nur einen Herrn. Ich bin hier der Boss und von nun an dein Herrscher, Himboy. Ich mach hier die Regeln. Und meine erste Regel ist es: Ausziehen! Sofort! Ich will deinen Arsch!«

Mein Fuß trat in die Kniekehle des Rechten, er hatte keine Zeit zu reagieren, bevor meine Linke ihm das Nasenbein direkt ins Hirn prügelte. Knochen, Blut und Gehirnmasse spritzte über den Parkplatz, färbte den matschigen Schnee dunkelrot. Im Rücken hörte ich die Kette rasseln. Ich wich aus und mit dem Folgeschritt beförderte ich mich in die offene Seite des anderen. Ein schneller Schlag gegen die Kehle sandte diesen röchelnd und konvulsierend zu Boden. Der Schnee stöberte auf, als der spastische Körper angelische Formen malte. Ich ließ ihn liegen. Nur noch das Alphatier – nun mehr ein in die Ecke gedrängter Einzelwolf – war übrig. Mit einem seltsam femininen Schrei auf den Lippen stach er zu, die zuvor verborgene Klinge prallte an meinem nackten Ellbogen ab. Funken sprühten als der Mann wie eine Puppe zurückgeworfen wurde. Als ich auf ihn zuschritt, weiteten sich dessen graue Augen panisch. Er hob seine Arme. Er wimmerte. Ekel überkam mich, als ich sah, wie Feuchtigkeit seinen Hosenschritt durchtränkte und den Schnee gelb färbte.

»Halt! Halt! B… Bitte, Freund! Wir wollen doch nichts Überhastetes tun! Sag mir doch zuerst: Wer bist du?«

»Denkst du, meinen Namen zu wissen, würde dich retten?« Der Mann schüttelte den Kopf, in seinem Gesicht stand eine urplötzliche Erkenntnis geschrieben. Seine Kehle krächzte als er flehte und bettelte:

»Du… du bist einer von diesen Switch-Heads nicht wahr? Du… du arbeitest für die Agentur… für die Regierung, ja?«

Ich hob meine Faust.

»Nein, nein, nein! Bitte warte! Warte doch! Du… du bist bei der Regierung! Ihr dürft nicht einfach Leute killen! Das weiß jeder! Du… du musst mich verhaften. Ich habe Rechte! Ich will einen Anwalt!«

»Glücklicherweise gehöre ich nicht zu dieser Sorte Regierung, die sich um Bürgerrechte scheren muss«, sagte ich.

»Du darfst mich nicht umbringen! Bitte! Ich… mich mach alles, was du willst! Ich kann dir sagen, viele Sachen sagen!« Das Gesicht des Gangbangers leuchtete auf – eine neue Hoffnung. »Ich kann für euch arbeiten! Denk doch nur nach, ich bin ne ganz große Nummer bei den Aztec Revived! Ich weiß alle Geheimnisse, ich kenne die ganze Organisation! Von oben bis unten. Ich weiß, wer das Scheißhaus putzt und ich weiß, wer die ganze Asche für das Pulver einsackt. Ich weiß von allem… alles, was man nur wissen kann! Jede schmutzige Wäsche landet in meinem Trog! Komm schon, Mann! Wir können sicher einen Deal machen, Freund!«

»Seh ich aus, als ob ich die Abteilung Kleinkriminalität bin?«

Der Mann schluchzte nun. Er wetzte auf seinen Knien hin und her und faltete die Hände.

»Gnade! Bitte! Gnade!«

Ich blickte mich um. Ich sah die schattenhafte Masse der Männer, die ich mit meinen bloßen Fäusten zerschlagen hatte. Schließlich blickte ich tief in seine grauen Augen, doch ich sah keine Reue.

»Gnade?«

Ich schlug zu. Meine Faust brach den rechten Wangenknochen. Wie eine Puppe wurde der Gangbanger nach links zu Boden geschleudert, ich kniete mich auf den Brustkorb und drosch einfach weiter und mit jedem Schlag stellte ich ihm eine Frage.

Linke Faust: »Hast du Gnade gezeigt, für den Mann auf deiner Stirn?« Blut spritzte auf den weißen Schnee.

Rechte Faust: »Gnade? Hast du Gnade gezeigt, als du deine schmutzigen Finger nach seiner Frau ausgestreckt hast?« Der Mann röchelte und spuckte. Aber noch lebte er.

Linke Faust: »Gnade? Hast du Gnade gezeigt, als du ihre Kinder dem Baron von Nemedi geopfert hast?«

Meine Knöchel drangen tief in die Augen und in die Höhlen darunter. Nein, der Reject lebte nicht mehr. Ich hatte ihn getötet. Ich besah mir kurz mein Werk. Schließlich stand ich auf.

Ohne mich noch ein weiteres Mal umzudrehen, stieg ich in den Wagen und fuhr davon – ließ diesen verwaisten Parkplatz und die drei Leichen hinter mir. Der Neumacher würde in den nächsten Stunden schon kommen und sich um die kaltgefrorenen Überreste kümmern. Ich hingegen kochte erneut voller überschüssiger brodelnder überfließender Energie. Scheiß auf Decker, ich mach´s wie immer, ich geh da rein mit über Hundert Prozent. In der Tat war mein Energielevel nun wesentlich höher als zuvor. Die Schmerzen am linken Ellbogen, dort wo mich das scharfe Messer getroffen hatte, fühlte ich gar nicht mehr. Ich griff an meine Brust und massierte das klobig geschnitzte Kreuz darüber. Ich fühlte mich prächtig. Ich fühlte mich lebendig. Doch natürlich schrillte die Nervschaltung in diesem Moment auf und die altbekannte Stimme Decker brummte mir mürrisch direkt in die Gehirnrinde:

»Ich frag gar nicht erst, was du getrieben hast, Caballero. Ich… Mach einfach, dass du deinen Arsch hier rüberschwingst. Es wird spät.«

»Jawohl, Sir.«

Ein stummes aber dennoch hörbares Seufzen knisterte in der Leitung. Decker entfernte sich höflicherweise aus meinem Kopf. Die Nacht gehörte fürs erste mir alleine, auch wenn es natürlich nur für einen allzu kurzen Moment war. Ich muss gestehen, ich genoss den Weg zur Arbeit. Ich mochte es, meinen Ford wie ein altes Schlachtross durch die verwaisten Straßen zu peitschen, durch die neongrellen Schluchten der Stadt zu düsen, als ob der Teufel selbst hinter mir wäre. Im Rückspiegel reflektierten die Lichter und vorne glitzerten die nassen Pfützen auf der Straße, während aus dem Radio die neue Single von Miss Arcade Mania erklang. Der rauchige Jazz war nicht ganz mein Geschmack, aber für diese Stadt war er perfekt, also ließ ich ihn seufzen und locken, denn so wollte es diese City und ihr Geist. Und so erging ich mich in meinen spätwinterlichen Träumen von Flucht und Freiheit, bis ich schließlich sie sah:

Links:

Beginn der Geschichte: https://styxhouse.club/2024/03/24/switch-head-switch-on-teil-1/

Vorheriges Kapitel: https://styxhouse.club/2024/03/24/switch-head-switch-on-teil-1/

Nächstes Kapitel: https://styxhouse.club/2024/06/18/switch-head-switch-on-teil-3/

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